Die Arbeitslosigkeit im Allgemeinen und die Jugendarbeitslosigkeit (bis 25 Jahre) im Speziellen ist seit Jahren ein großes Problem in Spanien. Ein sehr großes Problem. Wenn mir jemand im Gespräch sagt, er mache etwas anderes als ein Praktikum oder eine Aushilfsstelle, fällt mir das schon auf.
Halbstaatliche Organisation scheinen laut einer Bekannten ungeachtet den Nutzens möglichst viele Praktikanten einzustellen, die zwar die meiste Zeit dann nicht wissen, was sie machen sollen, aber wenigstens „Arbeit” haben. Auf dem Papier jedenfalls. Eine andere, die sich hier nach einer Stelle umschaut, berichtete von Erlebnissen wie folgendem: „Um 8 Uhr wird in einem Online-Stellenportal eine Stelle annonciert und um 10 Uhr sieht man, dass sich über das System schon knapp 2.000 / 4.000 Leute mit ihren Unterlagen dort beworben haben.” (Ich kann mich nicht mehr genau daran erinnern, ob von 2.000 oder 4.000 Bewerbern die Rede war. Aber egal, das spielt dann eigentlich auch keine Rolle mehr…)
Nach den aktuellen Zahlen von Eurostat ist Spanien Rekordmeister in den Disziplinen allgemeine Arbeitslosigkeit mit 20,5% und Jugendarbeitslosigkeit mit 43,5%. Und diese Zahlen geben aufgrund verzerrender Faktoren wie üblich nur eine untere Schranke an.
Dann versteht man auch, dass es hier wie im ganzen Land sehr häufig Demonstrationen und weitere Aktionen besonders von jungen Menschen gibt. Das (im doppelten Sinne) linke Flugblatt, dass seit einigen Tagen hier öfters zu sehen ist, ist eines von vielen, welche die Schizophrenie unserer Gesellschaft schön darstellen. Oben steht übersetzt „Gegen das Prekariat in den Hörsälen — Wir wollen Stipendien und keine Hypotheken!” und unten „Wir retten die Banken, wir zerstören die Bildung.”
Eine „vorerst befristete” (wir kennen das ja aus unserer Geschichte) Lösung für immer mehr junge Menschen ist die Auswanderung — besonders nach Deutschland. Merkel hat bei ihrem Madrid-Besuch im Februar besonders für junge und qualifizierte Arbeitslose deren Einwanderung nach Deutschland vorgeschlagen. Der lokalen Presse nach zu Urteilen wurde dies auch von der Regierung stark begrüßt. Ich habe sogar schon mindestens zwei Ankündigungen von Informationsabenden für Auswanderungswillige nach Deutschland gesehen. Zwei Bekannte von mir wollen auch schon den Sommer nach Deutschland für Praktika mit Stellenaussicht — es gäbe da „unglaublich viel”.
Naja, die Städte in Deutschland sind sicherlich nicht am Sinken. Aber letzte Woche ist mir bewusst geworden, dass man in Madrid sehr viele alte Menschen sieht. Ich bin schon in Busse gestiegen, die auf einer Kaffeefahrt hätten unterwegs sein können.
In Deutschland scheinen sich Rentner eher in Dörfern und kleinen Städten in Randlagen an Ballungszentren niederzulassen. (Das ist jedenfalls mein Eindruck.) In (Groß-) Städten scheinen mir Rentner nicht so stark vertreten zu sein. Aber vielleicht bewege ich mich da auch nur in den falschen Stadtteilen…
Allerdings passt die Beobachtung auf die Tatsache, dass in Spanien (wie den meisten südlichen EU-Ländern) die (Groß-) Familie noch einen deutlich höheren Stellenwert als in Deutschland hat. Vielleicht gilt es daher als normal, dass die Eltern den Kindern in die Großstadt nachziehen.
Ich habe mich kürzlich mit einer Person, die auch als Dolmetscherin für Spanisch, Deutsch und Englisch arbeitet, unterhalten. Dabei ging es auch um eine Besonderheit der deutschen Sprache, die es erschwert, aus dem Deutschen möglichst simultan ins Spanische oder Englische zu übersetzen: Der Position des Verbs.
Es gibt im Deutschen viele Satzkonstruktionen, bei denen das Verb erst ganz am Ende, nach einer langen Aufzählung, Einschüben (egal, wie wichtig sie auch sein mögen) oder anderen Anmerkungen nach langer Zeit endlich kommt. Und was sich Dolmetscher dann alles merken dürfen, da man im Spanischen und Englischen das Verb in der Regel relativ weit vorne, also vor allen anderen Informationen, die in dem Satz im Deutschen relativ weit vorne stehen, braucht.
Irgendwo im Web (ist schon lange her, daher habe ich jetzt keine Quelle mehr :-/) laß ich mal, dass dieses Phänomen auch damit zu tun haben könnte, dass sich Deutsche oft ausreden lassen und besonders Spanier und Italiener sich schnell ins Wort fallen. (Wie es hierbei mit den Engländern aussieht, weiß ich nicht.) Denn im Deutschen kann man oft nicht wirklich reinreden, wenn die Satzaussage so lange auf sich warten lässt. Im Spanischen ist die Aussage relativ schnell klar, sie kann mit zunehmender Länge des Satzes zwar präzisiert, aber kaum noch umgedreht werden. Interessante Theorie…
Über das Verhalten von Südeuropäern im Straßenverkehr gibt es ja in Deutschland einige Vorurteile. Drei Beobachtungen dazu:
An einer Kreuzung ist es für Autos gerade rot geworden. Ein Fahrschulauto fährt heran, bremst ab. Fahrlehrer winkt zum Fahrschüler, er solle noch weiter fahren. Sind ja noch keine Fußgänger auf der Straße. (Siehe Spruch-Artikel)
Ich laufe gegen 3:30 Uhr nach Hause und überquere eine Kreuzung, die zufälligerweise sogar grün für mich anzeigt. Aufgrund einer Baustelle in der Mitte der Straße hat man keinen Blick auf die zweite Spur. Eine Polizeistreife ohne Signal fährt ungefähr zwei Meter vor mir noch seelenruhig und recht langsam über die rote Ampel (für die zwei Meter hätte ich ja sowieso noch eine Minute gebraucht…). Ich schaue die Beamten im Auto komisch an, sie schauen gelangweilt zurück.
Eine Fußgängerampel wird für die Autos rot. Ein herankommendes Auto beschleunigt und zeigt durch Hupen an, dass es noch vor den Fußgängern über die Ampel möchte. Dem Wunsch wird entsprochen; die ca. fünf anderen Personen finden das scheinbar nicht ungewöhnlich und bleiben trotz grün noch einen Augenblick länger stehen.
Trotz dieser Mentalität gibt es hier aber nicht so extrem viele Unfälle, wie erschrockene Deutsche schnell annehmen würden. Die Menschen passen im Straßenverkehr einfach besser auf. Mir ist die letzte Zeit aufgefallen, dass ich niemanden beobachten konnte, der bei grün einfach so über die Straße geht. Man geht über die Straße, wenn sie frei ist. Wenn sich „von weitem” Autos androhen, hört man eher mal auf die Ampel. Ansonsten schaue ich auch meistens nur noch in beide Richtungen und gehe über die Straße.
Ein Nebeneffekt davon ist, dass sich das über-die-Straße-gehen nicht auf die Fußgängerfurten beschränkt. Man geht einfach überall über die Straße. Das ist auch recht effizient, da man einfach auf eine leere Straße wartet und dann rübergeht, ohne an einem definierten „Übergangspunkt” auf ein Signal zu warten. Ich habe hier noch nie Autofahrer hupen hören, weil plötzlich wieder Fußgänger spontan die Straße wechselten. Die Fahrer rechnen halt immer damit.
Letztendlich aber gefällt mit das „deutsche System” besser. Wobei ich mich wahrscheinlich in Deutschland erst mal wieder daran werde gewöhnen müssen. Genauso wie Müll…äh…trennung.
Wer noch etwas mehr darüber lesen will, gehe zu dem Artikel Achtung Straßenverkehr (mit den Kommentaren!) auf Madrid für Deutsche. Aus diesem Artikel: „Hupen gilt für mich nicht als Kommunikationsmittel.” *g*
Noch kurz dazu: In der nicht weit von Madrid entfernten ehemaligen Hauptstadt Spaniens, Toledo, ist es oft sehr nebelig. Damit meine ich wirklich nebelig. (Auf dem Photo ist es nicht so nebelig.) An einigen Zebrastreifen gibt es blinkende Lichter auf der Straße, weil Autofahrer sonst kaum eine Chance hätten, die Übergänge zu erkennen. Gute Idee!
Ich studiere Informatik an der TU Darmstadt und lebte von November 2010 bis Juni 2011 in Madrid. In diesem Blog schreibe ich über meine Erfahrungen und Anmerkungen über Sprache, Land, Stadt und Kultur.