Die aktuelle Bewegung bezeichnet sich mittlerweile selbst als Revolution, was sich zum Beispiel in dem populären und auch auf der Sol propagierten Twitter-Schlagwort #spanishrevolution zeigt. Aktuell halte ich das (noch?) für übertrieben. Viele junge Menschen sind zwar wütend, aber nach meiner Einschätzung überwiegt sowohl bei den Leuten, die ich kenne, als auch bei vielen Demonstranten, die nicht ständig Reden schwingen, eine gewisse Resignation und ein… hm… nennen wir es „fatalistischer Realismus”.
Bedenken muss man auch, dass es die letzten Tage auf der Sol zwar fast immer sehr voll gewesen ist, aber das der Platz sooo groß auch nicht ist, als dass man dafür zehntausende Menschen bräuchte. Auch fällt auf, dass in der Relation zu der Anzahl an Studenten sich nur relativ wenige an den Protesten beteiligen. Zum Vergleich: Es gibt in Madrid 19 Universitäten; alleine die Universidad de Complutense (die größte hier) hat knapp 85.000 Studenten. Insgesamt sind nach einem Überschlag von mir und ohne Berücksichtigung der Fernuniversitäten ungefähr 253.000 Studenten eingeschrieben. Dagegen wirken die paar Demonstranten nicht mehr so viel. Insbesondere, da ja nicht nur Studenten protestieren, sondern auch andere Jugendliche.
Ich will das nicht kleinreden, aber nach einem gewaltigen Massenaufstand sieht das für mich gerade nicht aus. Ich habe in Deutschland schon öfters Demonstrationen in dieser Größe erlebt. Neu ist mir allerdings, dass relativ viele Demonstranten so engagiert sind, einen längeren Atem haben, und die Demonstrationen sich nicht nur auf einen Ort beschränken. Die Liste der Orte mit Demonstrationen nach Angaben der Initiative Toma la plaza ist beeindruckend lang; auch in Berlin soll es eine kleine Demonstration geben (gegeben haben?).
Der Zeitpunkt der Proteste könnte sich noch als Problem erweisen. Speziell in Madrid ist es so, dass sehr viele Menschen — insbesondere Studenten — die Stadt ab Ende Juni verlassen und erst im September wiederkommen. Semester gibt es hier nicht, man zählt in akademischen Jahren. Es gibt keine Pause zwischen dem, was in Deutschland als Wintersemester und Sommersemester bezeichnet wird; dafür findet während des Hochsommers praktisch nichts an Universitäten statt. Zudem ist es gerade in Madrid bedingt seine hohe Lage und mangels Wasser im Hochsommer unerträglich heiß. In dieser Zeit ziehen viele junge Menschen zu ihren Eltern auf das Land oder an die Küste. Das sieht man auch daran, dass hier gerade im Juli und August extrem viele Wohnungen frei sind. Ich habe schon öfters Anzeigen für Angebote im Juli und August gelesen im Stil „Miete für zwei Monate, zahle für einen”. Zwar beschränken sich die Proteste nicht auf Madrid, aber wie auch die nationalen Medien schreiben, befindet sich hier ihr „Fokuspunkt” — der organisatorisch nach einer Umfrage von El País zudem überwiegend von Studenten gestemmt wird.
Aber, um auf das Titelbild dieses Beitrages zurückzukommen: Ich habe in Dokumentationen über die Wendezeit oft Aussprüche der Art „Jetzt ist alles möglich!” gehört. Falls die Proteste in dieser Form noch deutlich über die nächste Woche hinausgehen sollten, könnte es durchaus zu Veränderungen kommen — wenn auch nicht unmittelbar. Diskussionen haben in dieser Woche auch in den Medien begonnen, allerdings hören sich die Aussagen der meisten Politiker für mich bisher relativ „hohl” an. In wie weit sich „neue” Politiker mit den existierenden Zwängen auseinandersetzen und es anstelle von Verwalten mit Regieren (wir erinnern uns: lat. regere: lenken, leiten. Also genau das, was zum Beispiel Merkel auch nicht macht.) versuchen würden, bleibt eine offene Frage. Aber vielleicht erscheint vielen Spaniern nach dieser Woche vieles nicht mehr zwingend… „alternativlos”.
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Dieser Beitrag enthält eine Sammlung von Plakaten, Transparenten und Aushängen von Donnerstag Abend. Ich möchte mich für die von mir ungewohnt schlechte Qualität entschuldigen; wer es noch nicht weiß: Meine DSLR ist Schrott und ich habe gerade nur noch eine iPhone-Kamera, auf die meine lichtstarken Festbrennweiten nicht passen… 🙁 Gerade jetzt… *heul*
„Früher nannten sie es Diktatur, heute nennen sie es Demoktratie, aber niemand hört uns!”
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Kommentare deaktiviert für 1. Plakatschau — Die Stimmen des 15. Mai
(Hinweis: Der Text stammt von Mittwoch Abend, die Photos von Donnerstag Mittag.)
Demonstrationen sind hier in Spanien und speziell in Madrid nichts besonderes. Auch die überwiegend von jungen Menschen getragene Demonstration vom letzten Sonntag für einen Politik- und Strukturwandel war nicht die erste ihrer Art. Vergleichbare Demonstrationen hat es hier nach meiner Erinnerung vier bis fünf Mal seit Januar gegeben — plus kleinerer Kundgebungen, in die ich auch einige Male hineingeraten bin. Daher habe ich von der Demonstration am Sonntag zunächst keine Notiz genommen; es war für mich schon eine „übliche Großstadtveranstaltung”.
Nicht nur die deutschen, sondern auch die nationalen Medien hier haben am Montag kaum darüber berichtet, weswegen ich selbst erst spät am Dienstag — über Twitter — erfuhr, was sich hier gerade gut 25 Minuten von meiner Haustür entfernt abspielt. Aufgrund anderer Termine habe ich mich aber erst am Mittwoch angefangen damit zu beschäftigen und schildere im folgenden einen Überblick über das, was ich bei meinem zweiten Rundgang am Abend gesehen habe.
Schon kurz, nachdem ich am Mittwoch in die Metro-Station nahe meiner Wohnung gegangen bin, habe ich eine „Werbung” für die Demonstrationen gesehen. Auf allen Anzeigen an den Metro-Bahnsteigen ist die Meldung gelaufen, dass die lokale Regierung die Metro gebeten hätte, die Fahrgäste darüber zu informieren, dass die Demonstration auf der Puerta del Sol um/ab 20 Uhr nicht genehmigt sei. Anders formuliert: Man muss dort erst recht hin!
Die Sol ist auch am Mittwoch Abend wieder gut gefüllt gewesen. Da es auch in allen Seitenstraßen und angrenzenden Plätzen relativ voll gewesen ist, sind Angaben über einige tausend Demonstranten meines Erachtens nach zutreffend — wobei man auch sagen muss, dass es mitunter schwierig ist, Demonstranten von Touristen und anderen Personen zu unterscheiden.
Der Unmut, der die Menschen auf die Straße treibt, hat viele — mitunter sich widersprechende — Quellen. Auf Plakaten werden feministische, globalisierungskritische, anarchistische, liberale und gemäßigte Positionen postuliert — und ab und zu auch links- und rechtsextreme. Ich kenne es auch von Demonstrationen in Deutschland, dass diese oftmals „unterwandert” werden. Ein deutliches Übergewicht — jedenfalls an der Sol — haben jedoch „gemäßigte” Positionen aus einem links-liberalen, studentisch geprägtem Umfeld. Die Mehrheit der von mir auf Plakaten gelesenen Forderungen und Wünsche
- äußern Verbitterung über mangelnden Teilnahmemöglichkeiten an der Gesellschaft,
- sehen keine Zukunft bei einer Jugendarbeitslosigkeit von 45%,
- prangern als asozial empfundenes Verhalten von Banken an und mißbilligen die Übernahme wirtschaftlicher Denkweisen auf das ganze Leben,
- werfen Politikern vor, kein Interesse für die Jugend zu haben und nur für Reiche und Ältere da zu sein.
Die Stimmung ist gut, locker, ausgelassen. Man plaudert, diskutiert, lacht, feiert. Immer wieder werden Reden gehalten. Etliche Demonstranten haben Isomatten und Schlafsäcke dabei und lassen sich nieder. In der Mitte der Sol haben Aktivisten Zeltplanen zu einer Dachkonstruktion verbunden, unter denen die letzten Tage nach Medienberichten einige hundert übernachtet haben sollen. Um einen gläsernen Metro-Eingang herum diskutieren Teilnehmer und erarbeiten Lösungsvorschläge für die Probleme des Landes, die auf einer Glasdachkonstruktion eines Metro-Ausganges auf Papierblättern ausgehängt werden. Die Blätter enthalten mitunter aber auch nur Parolen oder Meinungen und spiegeln so auch die Gefühlslage vieler Demonstranten wieder. (Mehr dazu in einem folgenden Beitrag.)
Außenherum und besonders vor dem Casa de Correos (dem Regierungssitz der Lokalregierung) stehen überall Polizisten, Schlangen von Einsatzwagen reihen sich in vielen Seitengassen. Dazwischen stehen immer wieder Sanitäter. Die Polizisten verhalten sich ruhig, manche schwätzen mit den Demonstranten.
Dies ist erstmal ein kleiner, neutraler Überblick. Auf einzelne Aspekte werde ich in den kommenden Beiträgen eingehen.
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Kommentare deaktiviert für Die Jugend verliert die Geduld
Ich berichte im folgenden etwas über meine Eindrücke und Informationen von der Protestbewegung, die hier bereits lange schwelte und seit letztem Sonntag Spanien erfasst hat. Da ich mittlerweile mehr Material gesammelt habe, als es für einen Artikel gut wäre, und sich die Lage hier zudem insbesondere am Wochenende nach meiner Einschätzung noch ändern wird, werde ich die nächsten Tage mehrere Beiträge darüber veröffentlichen.
Zunächst kurz und knapp zum Verständnis: Es gibt in den meisten Teilen Spaniens praktisch nur zwei relevante Parteien: Die Partido Popular (PP, „etwa” CSU) und die Partido Socialista Obrero Español (PSOE, „etwa” SPD). In manchen autonomen Regionen gibt es noch weitere Regionalparteien, die dort mitunter auch größeren Einfluss haben. Aber nicht auf Landesebene.
Der Hauptort des Geschehens, der auch den Fokuspunkt in der nationalen Berichterstattung einnimmt, ist das „Demonstrationslager” an der Puerta del Sol. Dies ist der zentrale Platz im Zentrum Madrids. Doch da er für einige tausend Menschen zu klein ist, spielt sich auch viel Geschehen in den angrenzenden Straßen und kleineren Plätzen ab.
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Zum Einlesen mit fundierten Hintergrundinformationen — die ich hier mangels Erfahrung und Wissen nicht in dieser Form liefern kann — empfehle ich den sehr guten Beitrag Hintergründe der spanischen Revolution von Daniel Khafif.
Mehr dazu in Kürze in weiteren Beiträgen.
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