Menschliche Arbeit ist hier relativ billig. Das Wort „Wirtschaftskrise” ist seit Jahren in aller Munde und zudem gibt es in Madrid sehr viele Immigranten aus Süd- und Mittelamerika. Über billige Arbeitskräfte zur Müllsortierung habe ich schon geschrieben. Weitere Beispiele: Eine große Lotto-Gesellschaft hat hier an jeder fünften Straßenecke ein Verkaufshäuschen, in dem sich die Verkäufer nach meiner Beobachtung meistens langweilen. Parkarbeiter für Gartenarbeit sehe ich meist „im Rudel” und oft bei der Pause. Arbeit für wahrscheinlich tausende bieten auch Gas‑, Energie- und Wasserunternehmen: In meiner Wohnung kommt fast jeden Monat jemand vorbei, um genau einen Zählerstand abzulesen. Später kommt dann jemand anderes, um einen anderen Zählerstand abzulesen. ?!
Es kommt mir mittlerweile so vor, dass eine höhere Produktivität nicht wirklich angestrebt wird, weil man dann nicht weiß, was man mit den vielen Menschen machen soll.
Die Arbeitslosigkeit im Allgemeinen und die Jugendarbeitslosigkeit (bis 25 Jahre) im Speziellen ist seit Jahren ein großes Problem in Spanien. Ein sehr großes Problem. Wenn mir jemand im Gespräch sagt, er mache etwas anderes als ein Praktikum oder eine Aushilfsstelle, fällt mir das schon auf.
Halbstaatliche Organisation scheinen laut einer Bekannten ungeachtet den Nutzens möglichst viele Praktikanten einzustellen, die zwar die meiste Zeit dann nicht wissen, was sie machen sollen, aber wenigstens „Arbeit” haben. Auf dem Papier jedenfalls. Eine andere, die sich hier nach einer Stelle umschaut, berichtete von Erlebnissen wie folgendem: „Um 8 Uhr wird in einem Online-Stellenportal eine Stelle annonciert und um 10 Uhr sieht man, dass sich über das System schon knapp 2.000 / 4.000 Leute mit ihren Unterlagen dort beworben haben.” (Ich kann mich nicht mehr genau daran erinnern, ob von 2.000 oder 4.000 Bewerbern die Rede war. Aber egal, das spielt dann eigentlich auch keine Rolle mehr…)
Nach den aktuellen Zahlen von Eurostat ist Spanien Rekordmeister in den Disziplinen allgemeine Arbeitslosigkeit mit 20,5% und Jugendarbeitslosigkeit mit 43,5%. Und diese Zahlen geben aufgrund verzerrender Faktoren wie üblich nur eine untere Schranke an.
Dann versteht man auch, dass es hier wie im ganzen Land sehr häufig Demonstrationen und weitere Aktionen besonders von jungen Menschen gibt. Das (im doppelten Sinne) linke Flugblatt, dass seit einigen Tagen hier öfters zu sehen ist, ist eines von vielen, welche die Schizophrenie unserer Gesellschaft schön darstellen. Oben steht übersetzt „Gegen das Prekariat in den Hörsälen — Wir wollen Stipendien und keine Hypotheken!” und unten „Wir retten die Banken, wir zerstören die Bildung.”
Eine „vorerst befristete” (wir kennen das ja aus unserer Geschichte) Lösung für immer mehr junge Menschen ist die Auswanderung — besonders nach Deutschland. Merkel hat bei ihrem Madrid-Besuch im Februar besonders für junge und qualifizierte Arbeitslose deren Einwanderung nach Deutschland vorgeschlagen. Der lokalen Presse nach zu Urteilen wurde dies auch von der Regierung stark begrüßt. Ich habe sogar schon mindestens zwei Ankündigungen von Informationsabenden für Auswanderungswillige nach Deutschland gesehen. Zwei Bekannte von mir wollen auch schon den Sommer nach Deutschland für Praktika mit Stellenaussicht — es gäbe da „unglaublich viel”.
Donnerstag, 07. April 2011 | Abgelegt unter
Land und Leute,
Madrid im Winter bis Sommer 2010/2011 | Schagwörter:
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