Die Jugend verliert die Geduld

(Hin­weis: Der Text stammt von Mitt­woch Abend, die Pho­tos von Don­ners­tag Mittag.)

Demons­tra­tio­nen sind hier in Spa­ni­en und spe­zi­ell in Madrid nichts beson­de­res. Auch die über­wie­gend von jun­gen Men­schen getra­ge­ne Demons­tra­ti­on vom letz­ten Sonn­tag für einen Poli­tik- und Struk­tur­wan­del war nicht die ers­te ihrer Art. Ver­gleich­ba­re Demons­tra­tio­nen hat es hier nach mei­ner Erin­ne­rung vier bis fünf Mal seit Janu­ar gege­ben — plus klei­ne­rer Kund­ge­bun­gen, in die ich auch eini­ge Male hin­ein­ge­ra­ten bin. Daher habe ich von der Demons­tra­ti­on am Sonn­tag zunächst kei­ne Notiz genom­men; es war für mich schon eine „übli­che Großstadtveranstaltung”.

Nicht nur die deut­schen, son­dern auch die natio­na­len Medi­en hier haben am Mon­tag kaum dar­über berich­tet, wes­we­gen ich selbst erst spät am Diens­tag — über Twit­ter — erfuhr, was sich hier gera­de gut 25 Minu­ten von mei­ner Haus­tür ent­fernt abspielt. Auf­grund ande­rer Ter­mi­ne habe ich mich aber erst am Mitt­woch ange­fan­gen damit zu beschäf­ti­gen und schil­de­re im fol­gen­den einen Über­blick über das, was ich bei mei­nem zwei­ten Rund­gang am Abend gese­hen habe.

Schon kurz, nach­dem ich am Mitt­woch in die Metro-Sta­ti­on nahe mei­ner Woh­nung gegan­gen bin, habe ich eine „Wer­bung” für die Demons­tra­tio­nen gese­hen. Auf allen Anzei­gen an den Metro-Bahn­stei­gen ist die Mel­dung gelau­fen, dass die loka­le Regie­rung die Metro gebe­ten hät­te, die Fahr­gäs­te dar­über zu infor­mie­ren, dass die Demons­tra­ti­on auf der Puer­ta del Sol um/ab 20 Uhr nicht geneh­migt sei. Anders for­mu­liert: Man muss dort erst recht hin!

Die Sol ist auch am Mitt­woch Abend wie­der gut gefüllt gewe­sen. Da es auch in allen Sei­ten­stra­ßen und angren­zen­den Plät­zen rela­tiv voll gewe­sen ist, sind Anga­ben über eini­ge tau­send Demons­tran­ten mei­nes Erach­tens nach zutref­fend — wobei man auch sagen muss, dass es mit­un­ter schwie­rig ist, Demons­tran­ten von Tou­ris­ten und ande­ren Per­so­nen zu unterscheiden.

Der Unmut, der die Men­schen auf die Stra­ße treibt, hat vie­le — mit­un­ter sich wider­spre­chen­de — Quel­len. Auf Pla­ka­ten wer­den femi­nis­ti­sche, glo­ba­li­sie­rungs­kri­ti­sche, anar­chis­ti­sche, libe­ra­le und gemä­ßig­te Posi­tio­nen pos­tu­liert — und ab und zu auch links- und rechts­extre­me. Ich ken­ne es auch von Demons­tra­tio­nen in Deutsch­land, dass die­se oft­mals „unter­wan­dert” wer­den. Ein deut­li­ches Über­ge­wicht — jeden­falls an der Sol — haben jedoch „gemä­ßig­te” Posi­tio­nen aus einem links-libe­ra­len, stu­den­tisch gepräg­tem Umfeld. Die Mehr­heit der von mir auf Pla­ka­ten gele­se­nen For­de­run­gen und Wünsche

  • äußern Ver­bit­te­rung über man­geln­den Teil­nah­me­mög­lich­kei­ten an der Gesellschaft,
  • sehen kei­ne Zukunft bei einer Jugend­ar­beits­lo­sig­keit von 45%,
  • pran­gern als aso­zi­al emp­fun­de­nes Ver­hal­ten von Ban­ken an und miß­bil­li­gen die Über­nah­me wirt­schaft­li­cher Denk­wei­sen auf das gan­ze Leben,
  • wer­fen Poli­ti­kern vor, kein Inter­es­se für die Jugend zu haben und nur für Rei­che und Älte­re da zu sein.

Die Stim­mung ist gut, locker, aus­ge­las­sen. Man plau­dert, dis­ku­tiert, lacht, fei­ert. Immer wie­der wer­den Reden gehal­ten. Etli­che Demons­tran­ten haben Iso­mat­ten und Schlaf­sä­cke dabei und las­sen sich nie­der. In der Mit­te der Sol haben Akti­vis­ten Zelt­pla­nen zu einer Dach­kon­struk­ti­on ver­bun­den, unter denen die letz­ten Tage nach Medi­en­be­rich­ten eini­ge hun­dert über­nach­tet haben sol­len. Um einen glä­ser­nen Metro-Ein­gang her­um dis­ku­tie­ren Teil­neh­mer und erar­bei­ten Lösungs­vor­schlä­ge für die Pro­ble­me des Lan­des, die auf einer Glas­dach­kon­struk­ti­on eines Metro-Aus­gan­ges auf Papier­blät­tern aus­ge­hängt wer­den. Die Blät­ter ent­hal­ten mit­un­ter aber auch nur Paro­len oder Mei­nun­gen und spie­geln so auch die Gefühls­la­ge vie­ler Demons­tran­ten wie­der. (Mehr dazu in einem fol­gen­den Beitrag.)

Außen­her­um und beson­ders vor dem Casa de Cor­re­os (dem Regie­rungs­sitz der Lokal­re­gie­rung) ste­hen über­all Poli­zis­ten, Schlan­gen von Ein­satz­wa­gen rei­hen sich in vie­len Sei­ten­gas­sen. Dazwi­schen ste­hen immer wie­der Sani­tä­ter. Die Poli­zis­ten ver­hal­ten sich ruhig, man­che schwät­zen mit den Demonstranten.

Dies ist erst­mal ein klei­ner, neu­tra­ler Über­blick. Auf ein­zel­ne Aspek­te wer­de ich in den kom­men­den Bei­trä­gen eingehen.